Sonntag, 12. April 2015

Der Wilhelmsburger Insellauf

Wilhelmsburg.


Größte Elbinsel der Welt (okay, was auch daran liegt, dass nicht so viel an der Elbe liegt) und auch der flächenmäßig größte Stadtteil der Freien und Hansestadt Hamburg. Innenstadt nah und sehr viel am Wasser gelegen.






Und doch Jahrzehnte vergessen und links liegen gelassen. Googelt man "Problemviertel Hamburg", dann kommt bis heute der Name "Wilhelmsburg" sehr häufig vor. 





Das so etwas natürlich immer ein Klischee ist und das Wilhelmsburg sehr facettenreich ist, das wird dann gerne mal vergessen. Hinzu kommt, dass Wilhelmsburg wie so viele ehemals "arme" und Innenstadt nahe Stadtteile (hat hier jemand St. Pauli gesagt?) einem massiven Gentrifizierungsdruck unterliegt. Es ist wie immer: Erst kommen die Studenten, dann die Kneipen, dann die Szene und zuletzt die Leute, die es cool finden hier zu wohnen. Und alle vergessen ihren eigenen Anteil einer Verdrängung der ehemals ansässigen häufig migrantischen "armen" Bevölkerung.






Was mir auffällt: Während das Straßenbild auf St. Pauli immer "weißer" wird, sieht man hier noch erhebliche Anteile von Menschen mit türkischem und anderen Hintergrund. (Man verzeihe mir hier die Benutzung dieser Schubladen.) Die Frage ist: Wie lange noch?






Nun gut. Wer in seinen 35 Auflagen den Wilhelmsburger Insellauf mit gelaufen ist, der weiß um die Schönheit dieses Stadtteils. Der weiß um seine dörflichen, ländlichen Ecken und der hat wahrscheinlich auch das Döner oder den türkischen Kiosk mit 24 Stunden Öffnungszeit (beides natürlich auch ein Klischee) nach dem Lauf zu schätzen gelernt. 






Kommen wir also zum Lauf. Während meine Abteilung hier in vielen Jahren mit unzähligen Startern an den Start geht, waren wir diesmal gerade mal zu fünft. Liegt natürlich auch daran, dass sich dieses Jahr viele Menschen aus der Abteilung den Hamburg Marathon als Ziel gesetzt haben. Und da ist der Insellauf nicht immer passend für einen Trainingsplan.






Vor dem Lauf traf ich noch die @knotensusi, die heute ihren ersten Halbmarathon bestreiten wollte. Sie wurde erstmal herzlich von unserer Abteilung mit eingenommen und nach einem kurzen Warmlaufen, war es dann auch Zeit auf die Strecke zu gehen.






Puh, was will ich hier laufen? Als ich meine Saisonplanung im Winter machte, da hatte ich hier ganz heimlich mit einer Bestzeit über die Halbmarathondistanz geliebäugelt. Als ich dann krank war, schwankte ich zwischen "gar nicht laufen", "ohne Tempo laufen", "nur 10 km laufen" und ganz vielen Variationen dieser drei Möglichkeiten.






Letztendlich entschied ich mich kurzfristig für "Halbmarathon laufen" und "mal gucken, was so geht." Der Insellauf ist dafür bei mir eigentlich ganz spannend. Ich laufe ihn sehr häufig mit (jetzt drei Jahre in Folge) und er ist bei mir - im Gegensatz zum Hella Halb - eigentlich immer im Trainingsaufbau beinhaltet. Die Strecke ist auch mehr oder minder gleich geblieben und so kann ich hier mal Zeiten über die Jahre vergleichen. 2013 bin ich hier zwei Wochen vor dem Hamburg Marathon eine 2:19:37 gelaufen, letztes Jahr aus dem vollen Training heraus eine 2:16:29.


Dieses Jahr lag der Lauf direkt nach einer Entlastungswoche, so dass ich trotz Krankheit und einigem Rückstand schon irgendwie eine bessere Zeit anstrebte. In meinen Träumen dachte ich an eine 2:13:XX wenn alles absolut perfekt läuft.






So lief ich also einfach los, als der Startschuss ertönte. Man beginnt an der Dratelnstraße und muss dann relativ schnell über die Bahngleise. Das beinhaltet also gleich einen knackigen Anstieg. Den man auch bei KM 21 wieder bewältigen muss.






Ich begann mit einer 6:09 und einer 5:54 für die ersten beiden Kilometer. "Halt!" brüllte mein Kopf. Das kam mir dann doch etwas zu schnell vor und so versuchte ich ab jetzt die Rehagelsche "kontrollierte Offensive". Die Beine wollten doch noch etwas schneller, aber der Kopf bremste mit Hinweis auf die Länge des Laufes und die unsichere Form. Naja, Kilometer 3 lief immer noch in einer 6:08. Wenn man diese 3 Kilometer abgespult hat, verabschiedet man sich dann auch aus dem städtischen Teil Wilhelmsburgs. Man unterquert noch die Autobahn und danach wartet eine Deich- und Marschlandschaft auf einen, wie man sie schöner nicht bekommen kann. Deich und Marsch heißt aber auch, dass man Wind hat.








Und dieser kühlt z.B. Und ich war sowieso schon kühl angezogen. Ich hatte mich für kurz/kurz entschieden und dann auch noch die bereit gelegten Ärmlinge vergessen. Meine Befürchtungen, dass dies zu einem Frostlauf führen könnte, bewahrheiteten sich dann jedoch nicht. Die Sonne wärmte, so dass auch der Wind einem nichts an haben konnte.






KM 4 in 6:06. Kopf und Beine kämpften immer noch miteinander und nach einer 6:11 für Kilometer 5 einigten sie sich auf folgenden Plan: Alles unter 6:30. Am besten irgendwo zwischen 6:15 und 6:20. Kilometer 6 also nach diesem spontanen Plan in 6:22. Okay. Da war aber auch eine Trinkpause mit drin. Kilometer 7 also in 6:15.






Huch. Das war ja schon ein Drittel des Rennens. Es läuft gut, die Sonne scheint, was will man mehr? Naja, vielleicht eine Gruppe, die das persönliche Tempo läuft. Aber die erwischte ich leider nicht. Die vor mir waren mir zu schnell, die hinter mir waren mir zu langsam. So lief ich meistens alleine. Und bekam doch ein zwei Windböen ab. KM 8 in 6:22. Dann eine 6:20. Wir pendelten uns also da ein, wo wir uns irgendwie drauf geeinigt hatten. Kilometer 10 wurde dann eine 6:19 und damit ist ja auch schon die Hälfte geschafft.






Und das Rechnen begann. Prinzipiell glaube ich ja immer bei mir an einen Einbruch und so rechnete der Kopf immer zwei Endzeiten. Die eine mit 7 Minuten pro Kilometer, die andere mit 6:30. Beide Endzeiten klangen aber schon zu diesem Zeitpunkt ganz ordentlich und so lief ich weiter. Zur Hälfte spürt man schon ein bisschen die Beine, aber so wirklich schlimm war das noch nicht.


6:22 und 6:19 für die beiden nächsten Kilometer. Ich hatte mir für KM 7 und 14 jeweils ein Gel mitgenommen und war erstaunt, wie schnell die 7 Kilometer zwischen diesen beiden - selbstgewählten - Verpflegungspunkten vergingen. Kilometer 13 in einer 6:25. Ich hatte mir hier am Wasserstand etwas Zeit genommen, denn "eile mit Weile". Diese kleine Sammelpause beim Trinken gibt mir immer wieder Kraft und so gewinne ich danach mehr, als ich durch diese Pause verliere.






Nun aber rein mit dem Gel und da brauchte ich auch mal ein paar Schritte im Gehen, sonst hätte ich mich verschluckt und irgendwie auch Murks gebaut. Neuer Plan: 14, 15, 16 ein bisschen langsamer und dann in einen langen Endspurt gehen. "Endspurt? Bist du bekloppt? Das hat noch nie geklappt."
 brüllte mein Hirn. Kilometer 15 also in einer 6:46. Es sollte mein langsamster Kilometer bleiben. 16 in 6:23. Und nun rangen wieder Engelchen und Teufelchen auf meiner Schulter mit mir. Vollgas und dann eventuell einbrechen? Oder lieber die Marschroute 6:20 bis 6:30 so lange wie möglich aufrecht erhalten? Engelchen gewann und so wurde Kilometer 17 eine 6:29. Da Teufelchen aber nicht so ganz weg war und es ja auch nur noch 4 Kilometer waren, zog ich doch ein bisschen das Tempo an. Vorbei an den 10 Kilometer Walkern und an den Leuten, die einbrachen, wurde es eine 6:18. 3 Kilometer noch!










Nun waren die Beine schwer, der Tritt nicht mehr so flüssig und Kilometer 19 brachte auch wegen einer kleinen notwendigen Pause ebenso nur eine 6:46. 2 KM noch! Komm, bring alles! Das funktionierte jetzt und ich steigerte mich wieder auf eine 6:23.






Aber nun kam die Brücke. Ein langer Anstieg zur Brücke hin und dann die Brücke selbst im vollen Gegenwind. Das demoralisierende Gefühl jetzt plötzlich zu stehen, ist echt heftig. Aber in Norddeutschland gilt: Alles was man rauf läuft, läuft man auch wieder runter. Und so ging es die letzten 500 Meter in den Endspurt. 6:35 für Kilometer 21.






Und nach 2:14:19 blieb offiziell die Uhr stehen.






Im Ziel noch die anderen Finisher abgefeiert und nun der Versuch ein Fazit zu ziehen:


Wie kann man diese Zeit einordnen? 2 Minuten schneller als letztes Jahr ist schon mal ein Brett.Wenn ich das richtig sehe, war ich über die Halbmarathondistanz seit 2012 nicht mehr schneller. Das nehme ich erstmal positiv. Natürlich muss man beim Vergleich zu letztem Jahr sehen, dass ich diesmal genau die Entlastungswoche vorher hatte.






Trotzdem: Wenn ich die Erkältungen mit einberechne, dann bin ich wohl doch ein kleines Stück besser in Form als letztes Jahr.






Nun beginnen 3 sehr heftige Wochen. Bisher habe ich insbesondere an der Ausdauer und den Grundlagen gefeilt. Nun kommen auch verstärkt Tempoelemente und auch Koppeleinheiten dazu. Es wird lustig werden. Nach diesen drei Wochen (und einer Entlastungswoche) dann der nächste Test.


Der Rennsteiglauf-Halbmarathon. Mal sehen, was da so geht.



1 Kommentar:

  1. Immer wieder schön, einen Bericht zu einem Lauf, den man selbst mitgelaufen ist, aus einem leicht anderen Blickwinkel zu lesen. Mal abgesehen davon, dass ich eigentlich besser gar nicht gelaufen wäre, hätten wir das Ding ja gut zwei Drittel gemeinsam laufen können. ;-)

    Glückwunsch zum Finish! Andreas

    AntwortenLöschen